Monday, September 27, 2010

DIE DENKMÄLER DES MITTELALTERLICHEN BIRNSTAB-PROFILSTILS AUF DEM GEBIET DER BURG VON BUDA



ISTVÁN CZAGÁNY 

DIE DENKMÄLER DES MITTELALTERLICHEN 
BIRNSTAB-PROFILSTILS 
AUF DEM GEBIET DER BURG VON BUDA 

Im Band XIX des „Budapest Régiségei" (Altertümer von Budapest) veröffentlichte der Verfasser die formkundliche Bearbeitung der Denkmäler des „graphischen Stils" der Burg von Ofen. Als Fortsetzung der baugeschichtlichen Untersuchung macht er im vorliegenden Aufsatz die Denkmäler des Birnstab-Profilstils bekannt, nachher wird die Aufarbeitung des Materials des „zylindrischen Stils" und schliesslich die des „Stockstab-Stils" folgen, da der stilstrukturelle Aufbau der örtlichen Gotik in diese vier Gruppen gegliedert werden kann. Der Birnstab-Profilstil ist von keiner solchen Formreinheit wie der graphische Stil, weil er in der Regel mit den Stilelementen des zylindrischen oder Stockstab-Stils gemischt zur Erscheinung kommt. Dieser Profiltyp hat zwei Hauptsammeitypen, der eine ist das „Leitbirnstabprofil", bei welchem der Birnstab die Symmetrieachse bzw. Achsen liefert. Der andere ist das „Profil mit Birnstabmotiv", in welchem der Birnstab sich zwischen die anderen Gliederungen einschmiegt. 
Der Birnstabprofiltyp entfaltet sich aus dem zylindrischen Stil zu Mitte des 13. Jahrhunderts. Der Birnstab selbst entsteht aus der beiderseitigen Ausbuchtung der an einem Punkt keilförmig gespitzten Leitzylindergliederung. Die erste Entwicklungsstufe stellt das Sockelprofil der südlichen Torsteineinrahmung des ersten Schiffes der zwischen 1257—1276 erbauten Maria-Magdalenenkirche dar, sowie das zwischen 1255 und 1269 ausgebildete Profil des östlichen Gewölbegurtes im Unterraum des Béla—Turmes der Liebfrauenkirche. Die Ausgestaltung des Birnenstabs kann daher auf die 50er, 70er Jahre des 13. Jahrhunderts gesetzt werden. 
Als bereits voll entwickeltes Beispiel des Typs erscheint uns das Profil des Marientors der Liebfrauenkirche, das auf Grundlage des westlichen doppelten Haupttores der Nürnberger St. Lorenzkirche angefertigt wurde. Demnach stammt das Profil vermutlich aus der Strassburg—Ulmer Bauhütte. Steine von gleichem Profil kamen aus der, gegenüber dem südlichen, gotischen, grossen Saal des Burgpalastes liegenden Burgmauer des östlichen geschlossenen Hofes, sowie aus der südlichen Erdgeschossmauer des südlichen Palastgebäudes zum Vorschein. Diese beiden Profile wurden aller Wahrscheinlichkeit nach von einem Steinmetz der gleichen Schulung wie der Meister des Marientors verfertigt. An diesen Profilen treten jedoch die Birn-stäbe noch gemeinsam mit Elementen von graphischem und Stockstab-Stil auf. 
Demgegenüber tritt der Profiltyp in völlig reiner Form, auf den vor 1396 angefertigten Rippenbündeln mit umlaufenden Birnstab, im Sanktuarium der ehemaligen Klosterkirche der Dominikaner auf, und dies dermassen, dass nicht nur die Kantenrippen, sondern auch die Wandrippen des einst in den Sanktuariumsecken stehenden Rippenbündels mit umlaufenden Birnstab versehen sind. Die ausländischen Analogien sind uns derzeit nicht bekannt, wir wissen lediglich, dass ähnliche baustrukturelle Knotenpunkte sich in der St. Michael-Kirche zu Klausenburg befinden. Aus derselben Stilentwicklungsperiode stammt der, in der östlichen Mauer des Strassentraktes des Gebäudes Űri Gasse 33 erhalten gebliebenen gotische Geschossfensterschluss. Dessen Profil ist gleichfalls mit einem umlaufenden Leitbirnstab umrahmt. Zwischen den rechtwinkelig angeordneten Gliederungen steht in der Mitte auf einer Achse in einem Neigungswinkel von 45 Grad der Birnstab, was noch an das Sockelprofil der südlichen Torsteineinrahmung des ersten Schiffes der Maria-Magdalenenkirche erinnert — folglich eine frühe Eigenart darstellt. Der sich an den Leitbirnstab anschmiegende Halbbirnstab erinnert indessen bereits an die an den Rippenbündeln des Sanktuariums der St. Nikolaus Klosterkirche angelegten Wandrippen — bereits ein Kennzeichen des 14. Jahrhunderts. 
Die schönsten Denkmäler der Entwicklungsgeschichte des „Leitbirnstabprofils" blieben uns auf den Geschossfenstern des mächtigen Turmes der Maria-Magdalenenkirche bewahrt. Nicht allein, dass auf diesen, wie auch auf dem östlichen Gurt des Unterraumes des Turmes der Leitbirnstab in der Mittelachse des Primärprofils steht, sondern auch die Begleitbirnstäbe sind an beiden Seiten des Leitbirnstabs symmetrisch angeordnet. Das gleiche ist am Rippenbündel des Schiffsanktuariums zu beobachten, dessen Gliederungsverbindung überraschend mit der an den Rippenbündeln des Sanktuariums der St. Nikolaus-Klosterkirche übereinstimmt. Diese Übereinstimmung lässt darauf schliessen, dass sie aus der gleichen Werkstätte hervorgingen. Der Turm der Maria-Magdalenenkirche dürfte aber nach einem Vorbild aus süddeutschem Gebiet, der Gegend von Ulm-Stuttgart erbaut worden sein, wie dies die enge Verwandtschaft zwischen dem Sternengewölbe des Raumes unterhalb des Turmes und dem Baldachinaltargewölbe der Abteikirche des Württemberger Maulbronn wahrscheinlich macht. Diese Herkunft weist auch hier auf die Umgebung 

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von Ulm, auf das Gebiet der Strassburger Bauhütte hin, ebenso wie es beim Marientor der Liebfrauenkirche der Fall ist. 
Das Profil des Schlussbogens des Reitertores am Torturme, das in die südliche, grosse Rondelle des Burgpalastes führt, stimmt völlig mit dem Profil der Fenster des zweiten Stockes des Maria Magdalenen-turms überein. Ebenso besteht eine Analogie zwischen dem Profil des Haupttores des Maria-Magdalenen-turmes und dem Profil des nördlichen Tores mit dem Fresko, „Maria im Mantel" am Turm der Soproner, (ödenburg) ursprünglich Franziskaner-, sodann Benediktinerkirche. Letzteres wurde um 1452—1453 erbaut, auf Grund dessen kann das Haupttor des Maria-Magdalenenturmes auch auf die Mitte des 15. Jahrhunderts gesetzt werden. 
Unsere weiteren Profile gehören nicht mehr dem Sammeltyp der Leitbirnstabtypen an, sondern dem des „Profils mit Birnstabmotiv". So können vor allem die, auf den Steinen der Masswerkfenster der ehemaligen Kapelle des Almosenier St. Johannes im Burgpalast, und auf der Steinumrahmung der Erkerfenster des sogenannten südlichen, gotischen Großsaales erhaltenen Motive, hierher gezählt werden. Die Gewölberippenreste des südlichen Großsaales und des nahe gelegenen Stephanturmes zeigen noch die Anwendung des reinen „Leitbirnstab-Profiltyps", zur gleichen Zeit ist auf dem Profil der Saalfenster bereits der „parlerische Stockstab"zu sehen. Auf dieser Grundlage können wir die in gleicher Zeit angewendeten zwei Profiltypen datieren, weil sich die in der Parlerschen Werkstätte ausgebildeten Steinmetzen zwischen 1417—1433 an der Liebfrauenkirche betätigten. Folglich konnte auch der Ausbau des südlichen grossen Saales nicht zu einer früheren Zeit als diese erfolgen. Die Meistergruppe, welche die erwähnten Fenster gemeisselt hatte, dürfte auch auf anderen Teilen des Palastes gearbeitet haben, wie es das Profil des aus dem Material des „Mordganges" zum Vorschein gekommenen Doppelfensters bzw. das Dreierfenster aus der Ausgrabung des „Szárazgrabens" (Trockengrabens) bezeugen. 
Diesen Prozess des Stilverfalles, der sich in der Profilanwendung zeigt, stellen vier Denkmäler im Burgviertel dar. Das Profil der Toreinrahmung des Hauses Úri Gasse 40 und des der Toreinrahmung in der Országház Gasse 9, ferner die Profile des Matthias-Turmes der Liebfrauenkirche, sowie am vorhangartig gewölben Fensters am Turme der St. Nikolauskirche. Auf diesen ist der Birnstab bereits von der Mittelachse verschoben, ja verschwindet fast zwischen den Gliederungen anderen Stils. Die Fenster des Matthias-Turmes der Liebfrauenkirche verfertigten zwischen 1461—1470 dem Kreis des Dombaumeisters, István Kassai, (Stefan Kaschauer) angehörende Meister, die in Wien und Kaschau ihre Bildung erworben hatten. Es kann wohl angenommen werden, dass die Turmfenster des St. Nikolaus-Kirche (nach etwa 1478) durch einem in dem Bauhütte von Meissen oder in der Bauloge von Dresden geschulten Meister geschaffen wurden. 
Fassen wir unsere über dem „Profilstil mit Birnstab" gewonnenen Kenntnisse zusammen, so mag behauptet werden, dass dieser Profiltyp sich auf unseren lokalen Denkmälern zwischen 1255—1276 aus dem zylindrischen Stil auszugestalten begann. Und zwar auf solchen Bauobjekten die, zumindenst gewisser-massen, die Prägung der Frühgotik des 13. Jahrhunderts der Zisterzienser tragen. Die erste Periode der Entwicklung des Profilstils dauerte (ungefähr) bis 1370, als zum Beispiel auf den Denkmälern von Strass-burg—Ulmer Herkunft der Profiltyp mit Birnstab bereits in reiner Form erscheint. Die zweite, reife Periode der Entwicklung lässt sich im wesentlichen zwischen die Jahre 1396—1452 drängen. Das ist die Blütezeit des „Profils mit Leitbirnstab", das die reinste Erscheinungsform des Typs darstellt, und vornehmlich auf den Gebäuden zu treffen ist die nach den Vorbildern der süddeutschen, Strassburg—Ulmer Gegend erbaut wurden. Schliesslich kann die dritte Periode des Profiltyps, in der die Entwicklung bereits dem Niedergang zu geht, auf die Jahren 1417—1433 und 1461—1478 bzw. folgenden Jahren gesetzt werden. Die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderte ist bereits die Periode des „Profils mit Birnstabmotiven", die Zeit wo der Birnstab seine führende Rolle einbüsst. Solche Profile benutzten in Ofen vornehmlich die Meister von Wien-Kaschauer und Meissen-Dresdener Schulung. 
Auf Grund unserer bisherigen örtlichen Beobachtungen scheint es dass der zylindrische Stil vermutlich für jene Gebäude kennzeichnend ist, welche durch Meister französischer Herkunft, oder Meister von französischer Schulung errichtet wurden, weil das mit dem Übergangstil durch Vermittlung der Zisterzienser nach Ungarn gebracht wurde. Der Profilstil mit Birnstab ist wahrscheinlich von deutsch-österreichischer Herkunft, oder ist er vielleicht Meistern deutscher Ausbildung zuzuschreiben weil dieser Einfluss meist dort erweisbar ist, wo Einwirkungen der Strassburger, Dresdener, Wiener Bauhütten zu erkennen sind. Der graphische Stil ist wahrscheinlich tschechischen Ursprungs oder wird von Meistergruppen angewandt sein, die im tschechischen Sprachgebiet ihre Bildung erworben hatten. Diesem Stil begegnen wir am ehesten bei den aus der Gegend von Prag-Breslau— herrührenden Auswirkungen. Wohl weist auch der Stockstab—Stil auf tschechischen Ursprung hin, zumindest insofern, dass die Verbreitung des sogenannten „parlerischen Stockstabes" sich an den Namen der Prager Dombaumeister-Familie Parier knüpft. 

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